Raynara hatte es nicht kommen sehen. Eben noch hatte sie im Trainingshof gestanden, den letzten Schweißtropfen der Übung von ihrer Stirn gewischt und versucht, ihren Atem wieder unter Kontrolle zu bringen. Die Sonne brannte heiß auf ihre Schultern, und der Lärm der anderen Rekruten war nur ein dumpfes Summen in ihren Ohren. Dann wurde die Welt plötzlich schwarz. Grobes, kratziges Material schürfte über ihre Wangen, als jemand ihr einen Sack über den Kopf zog. Reflexartig spannte sich ihr Körper an, und sie versuchte sich loszureißen. Ihr Herzschlag raste, ihre Magie wollte wie ein Sturm in ihrer Brust aufflammen, doch sie spürte sofort, dass etwas sie blockierte. Ein Dämpfungszauber. Fuck. Sie wollte sich winden, doch starke Hände griffen nach ihren Armen und hielten sie fest. Ehe sie wusste, was geschah, klickten kalte Handschellen um ihre Handgelenke. Ein rohes Geräusch, wie ein Knurren entkam ihrer Kehle, und sie trat aus – ihre Stiefel trafen mit einem dumpfen, befriedigenden Schlag auf etwas Fleischiges. Jemand stöhnte vor Schmerz. Doch bevor sie den Vorteil nutzen konnte, drückte sie ein anderer Stoß vorwärts, hart genug, dass sie beinahe das Gleichgewicht verlor. Das hier war kein Überfall. Das war geplant. Mit jedem Atemzug kämpfte sie die aufsteigende Panik hinunter. Keine Zeit für Angst. Ein guter Soldat bleibt ruhig. Ein guter Soldat beobachtet. Ein guter Soldat— Der Boden verschwand unter ihr, und sie fiel.
..
Als Raynara wieder zu sich kam, war ihre Kehle trocken, und ihr Kopf fühlte sich an, als hätte jemand ihn mit Sand gefüllt. Sie blinzelte, ihre Augen mussten sich an das schummrige Licht gewöhnen. Der Sack war weg, ebenso die Handschellen, aber ihre Gelenke schmerzten von der Enge des Metalls. Um sie herum erklang leises Murmeln. Sie war nicht allein. „Ah, you’re awake,“ kam eine tiefe Stimme von links. Sie drehte ihren Kopf und sah Dan – groß, breitschultrig, mit diesem ständigen Ausdruck von „Ich bin zu cool, um mich über irgendwas aufzuregen“. Der Werwolf saß mit verschränkten Armen an der Wand, doch seine Augen waren wachsam. „Figured they’d pick you too.“

„What the hell…?“ Sie rieb sich über die Stirn, dann ließ sie ihren Blick durch den Raum wandern. Eine andere Gestalt lehnte in einer Ecke – Aura, die Vampirin, die Ray immer an eine Raubkatze erinnerte, so unberechenbar sie war. Der vierte war Riley Spencer, bereits Teil von Lynx, war er jemand dem sie normalerweise lieber auswich. „Training exercise, apparently. They tossed us in here with… this.“ Dan hielt eine Karte hoch. Aura zuckte mit den Schultern. „They said we’ve got 24 hours. Find the objective or fail. Simple enough.“ Ihre Stirn kräuselte sich, als sie die Gruppe betrachtete. „Simple?“ Sie sprang auf die Füße, warf einen prüfenden Blick auf die massiven Metalltüren des Raumes. „Guess that’s the first part of the test.“ Aura grinste schief. „You nervous yet?“ Ray ignorierte ihn und ging zur Tür, ließ ihre Fingerspitzen über die Kante gleiten, suchte nach einem Mechanismus. Ihre Gedanken rasten. Die Panik, die an ihr nagte, wurde von einer anderen Emotion überdeckt – einer, die sie selbst überraschte: Aufregung. Eine Herausforderung. Doch dann ließ sie ihren Blick zurück zu den anderen schweifen, und das Adrenalin dämpfte sich. Riley war kompetent, sicher. Aber Aura? Sie war kein Teamplayer. Dan hatte in der letzten gemeinsamen Mission keinen Beitrag geleistet, aber er schuldete ihr noch immer etwas. Wie viel Vertrauen konnte sie in eine Gruppe setzen, die sie kaum kannte?

Die Vorwarnung war da, aber kein genauer Zeitpunkt. Eigentlich war er als festes Teammitglied und Ausbilder weit davon entfernt wieder in Testsituationen geschubst zu werden, aber hier ging es nicht um ihn. Es ging um die Beurteilung der Rekruten, die auf der Kippe standen und womöglich noch abgesägt wurden. Offiziell entlassen, obwohl die meisten sich denken konnten, dass sie nicht nur ihren Job verloren, sondern auch ihr Leben. Sie konnten keine losen Enden in diesem Business gebrauchen. Nachdem ihm ein Sack über den Kopf gezogen wurde, war sein erster Impuls natürlich der Kampf. Seine Muskeln lockerten sich jedoch gleich wieder, als er den Geruch eines anderen Ausbilders wahrnahm. Passte ihm jetzt eigentlich nicht in den Zeitplan, aber dann war es wohl jetzt soweit. Sonderbehandlung bekam er leider auch nicht. Er wachte erst in einem finsteren Loch mit drei der Rekruten wieder auf.

Während die anderen schon in Gespräche verfielen und sich orientierten, klopfte er erstmal den Staub von seinen Klamotten und ordnete seine Haare, die in alle Richtungen standen. Dan drückte Aura die Karte in die Hand und stellte sich neben Ray. Sein Ansatz war weniger subtil. Er schlug auf die Tür ein. Es brauchte ein paar Versuche, bis er einsah, dass er so nicht weiter kam und nahm wieder Abstand, das Problem bewundernd. “Have you found a weak spot?“, fragte er Ray. Wobei er das weak spot ein wenig mehr betonte, weil er sie auch schon mehrfach so genannt hatte. Entweder sie fanden eine Schwachstelle oder sie würden zusammen versuchen müssen die Tür aufzustemmen. Und da war zusammen der entscheidende Faktor. Bisher machten hier alle noch ihr eigenes Ding, was in den vergangenen Missionen negativ aufgefallen war. “Do you think it’s already dark outside? They took my daylight ring.“ Aura machte sich erstmal nur Gedanken um sich selbst, anstatt die Karte zu studieren oder bei der Tür zu helfen. Great start!

Ray bemühte sich, äußerlich ruhig zu bleiben, als Rileys Frage – und vor allem sein spöttischer Ton – durch die stickige Luft hallte. Weak spot. Sie wusste, dass er es auf sie gemünzt hatte, nicht nur auf die Tür. Ihre Kiefermuskeln spannten sich an, aber sie ließ sich nichts anmerken. Es war nicht ihre erste Mission unter seiner Anleitung, und sie war entschlossen, ihn nicht zu enttäuschen, selbst wenn sein Kommentar sie innerlich wie ein Pfeil traf. „I'll figure it out,“ erwiderte sie mit fester Stimme, während sie die schwere Metalltür genauer in Augenschein nahm. Die Worte klangen selbstsicherer, als sie sich fühlte, aber sie wusste, dass sie keinen Raum für Zweifel lassen durfte. Dan trat zurück und verschränkte die Arme, seine Miene war eine Mischung aus Belustigung und Erwartung. Aura hingegen machte sich weiterhin mehr Sorgen um ihre eigene Lage, während sie sich mit der Karte beschäftigte und im Hintergrund vor sich hin murmelte. Ray ignorierte sie. Wenn sie dieses Team zusammenhalten und den Respekt ‚ihres Ausbilders‘ verdienen wollte, musste sie Lösungen bringen – und zwar jetzt.

Sie kniete sich vor die Tür und tastete mit den Fingern über die verrosteten Scharniere und das Schloss. Es war ein altes mechanisches Schloss, der Typ, den man mit einem präzisen Werkzeug und etwas Geschick vielleicht knacken konnte. Ihre Gedanken rasten. Sie trug nichts mit sich, das direkt als Dietrich hätte dienen können, aber... Ray griff in ihre Tasche und zog eine Haarnadel hervor. Die hatte sie eigentlich dabei, um ihre Haare aus dem Gesicht zu halten, aber jetzt würde sie einen anderen Zweck erfüllen. Sie brach die Spitze ab und bog das Metall mit vorsichtigen Bewegungen zurecht, sodass es wie ein improvisierter Dietrich aussah. „You're wasting time,“ warf Dan von hinten ein, aber sie ignorierte ihn. „If you think you can do better, be my guest,“ konterte sie trocken, ohne aufzublicken. Ihre Hände arbeiteten präzise, ihr Atem war ruhig, auch wenn sie innerlich kochte. Aura seufzte laut, während sie weiter auf die Karte starrte. „I can’t believe they took my ring. Do you even know how annoying this is?“ „We’ll put it on the list of priorities right after not dying,“ murmelte Ray leise, bevor sie sich wieder auf das Schloss konzentrierte. Der erste Versuch scheiterte, die Haarnadel rutschte ab. Ray biss die Zähne zusammen, während sie Dans und Rileys Blicke im Rücken spürte. Sie justierte die Haarnadel neu, tastete sich langsam vor und spürte endlich den Widerstand, den sie suchte. Ein Klick ertönte, der Mechanismus gab nach. Die Tür öffnete sich mit einem leisen Knarren. „Weak spot, huh?“ Ray richtete sich auf, ließ die Tür offen stehen und warf Riley einen herausfordernden Blick zu. Ihr Herz klopfte wild, aber sie hielt ihre Stimme ruhig, als sie hinzufügte: „Guess I found it.“

Was Rileys Rolle in dieser Mission betraf, schien zumindest Ray verstanden zu haben, dass er nicht nur als Teilnehmer dabei war. Die erfahrenen Teammitglieder nahmen öfter an Trainingsmissionen teil, um ihr Know-How zu teilen. Aber das beinhaltete auch, dass sie mehr die Führung ergriffen, was Riley bewusst umging. Der Zusammenhalt war einer der kritischen Punkte bei diesen Rekruten, daher würde er ihn nicht von außen durch Befehle erzwingen. “We are waiting right here for you to figure it out“, versicherte er ihr und baute damit noch mehr Druck auf. Seine blauen Augen wanderten dabei nur kurz zu Aura, bei der er nicht zu 100% sagen konnte, ob sie sich wirklich mit der Karte beschäftigte oder gedanklich und verbal einfach nur an ihren dämlichen Ring denken konnte.

Als ihre Finger über die rostigen Scharniere glitten war der Erfolg schon fast in Sicht, aber sie entschied sich dann für das alte Schloss, was leicht zu manipulieren war. Führte am Ende beides zum Ziel, aber der Zeitfaktor war entscheidend, wo er einmal im Leben Dan zustimmen würde. Seine Mundwinkel zuckten bei Rays gemurmelten Worten. “Are you making fun of me?“, knurrte Aura. “I think she does“, sagte Dan bestätigend. Bevor die Vampirin sich weiter reinsteigerte, lenkte Riley ihre Gedanken wieder um. “So? Where do we need to go as soon as the door is open.“ Aura sah wieder angespannt auf die Karte. “I don’t even know where we are on that map. I mean it looks like a treasure map though.“ Wow, sehr qualifizierte Aussage – da musste er glatt das Seufzen unterdrücken. Stattdessen eröffnete Ray mit ihrer Dietrich Taktik die Tür und schien besonders stolz auf sich zu sein. Vielleicht hätte er ihr den Erfolg gegönnt, wenn sie das jetzt nicht so selbstgefällig präsentiert hätte. Stattdessen ging er zu der Tür und zog einmal kräftig am rostigen Scharnier, womit er die Tür aus den Angeln hebelte. “Guess you found one weak spot.“ Aber eben nicht den schwächsten Punkt, der weniger Zeit gekostet hätte. “I knew that brutal force was the way to get out!“ Wahrscheinlich hätte Dan die nächsten 24h auf die Tür eingeschlagen oder versucht sich durch die Wände zu kloppen.

Aura ging mit der Karte zur Tür. Der Ausblick war ein dunkler Tunnel, der ein paar Meter weiter eine Kreuzung präsentierte. Sie hatten also drei Optionen für den Weg.

Ray war sich sehr wohl bewusst, was Riley mit seiner Bemerkung beabsichtigt hatte. Die Worte hatten ihren Ton getroffen, gezielt wie ein geschickter Schachzug, der Aura von ihrer aufkochender Stimmung ablenken sollte. Sie erkannte es. Dankbar sein? Sicher nicht. Stattdessen ließ sie ihre Finger zielsicher über das alte Schloss gleiten. Die Anspannung in ihrem Nacken wich einem konzentrierten Rattern in ihrem Kopf. Es war nicht schwer, das Schloss zu knacken, aber mit Riley im Nacken, der sie indirekt unter Druck setzte, fühlte es sich an, als müsse sie alleine eine Prüfung bestehen, nicht das Team. Als sich die Tür final öffnete und sie Rileys Kommentar dazu hörte, hatte sie wohl auch ihr Ergebnis. Failed.

Aura war die Erste, die ohne zu zögern auf die Kreuzung zutrat. Ihr Finger glitt über die Karte, während sie den Gang zu entschlüsseln versuchte, aber Riley konnte förmlich sehen, wie wenig sie tatsächlich verstand. "It's obvious we should go left," verkündete sie selbstbewusst und hielt die Karte hoch. "The map is basically screaming it." Dan hob skeptisch eine Augenbraue. „What makes you so sure?“ fragte er mit einem deutlichen Unterton von Ungeduld. „It all looks the same..:“ Seine Stimme war lauter, als nötig gewesen wäre, und hallte leicht von den Wänden zurück. Ray stand neben Riley, verschränkte die Arme und musterte Aura mit einem abfälligen Blick. "Sure, let’s follow the treasure map. Maybe we’ll find a pot of gold," murmelte sie trocken, was Dan ein Schmunzeln abrang, auch wenn er es schnell unterdrückte.

„We should split up“, schlug Dan vor und deutete auf die drei Gänge. „Everybody takes one and we’ll meet back here in 5“ Aura grummelte etwas Unverständliches, schüttelte nur den Kopf und wollte weiter auf den linken Gang bestehen. Ray musterte Riley, den sie unbedingt beeindrucken wollte. löste sich schließlich von der Wand, wo sie sich bisher lässig gegen das Chaos gelehnt hatte. Sie trat näher zur Karte, ignorierte Aura und beugte sich ein Stück vor, um einen besseren Blick darauf zu bekommen. "It’s not the map that’s gonna tell us where to go," sagte sie leise, ihr Tonfall fast nachdenklich. Ihre Augen suchten den Boden, die Wände, dann den Tunnel vor ihnen. "It’s the air." Sie deutete auf den Gang, der nach rechts führte. "It’s cooler there. Less stale. Something’s moving that way. Could be a draft, could be an exit. But it’s better than running blind." Aura starrte sie an, als hätte Ray gerade die simpelste Erkenntnis der Welt geliefert und wollte trotzdem nicht zustimmen. Spencer war sicher stolz auf sie. Ray hatte es im Gefühl, und sie wusste es – doch sie machte nie den Fehler, ihre Erfolge zu offensichtlich zu genießen. Stattdessen hielt sie die Spannung, ohne Aura die Genugtuung zu geben, sie direkt zu konfrontieren. „Right it is then…“ Dan lachte leise, was die Spannung etwas löste, und Ray fiel zurück, sodass sie neben Riley ging, als die Gruppe sich in Bewegung setzte.

Riley hatte schon einige Fragen für Aura, die er jedoch nicht stellte. Sie schien sich einfach sicher zu sein, dass links die einzige Antwort war. Der Werwolf war heilfroh, dass weder Aura, noch Dan zu seinen zugewiesenen Rekruten gehörten. Hatten die in den Jahren überhaupt irgendwas gelernt? Rumbrüllen, obwohl sie nicht wussten ob es Gegner in der Nähe gab und sich aufzuteilen, war keine gute Idee. Aura hatte sich so auf die Karte eingeschossen, dass sie nicht mehr über den Tellerrand blicken konnte. Ray hatte einen anderen Ansatz und verließ sich nicht auf ein Stück Papier. Gut so! Die Argumentation der Chimäre war gut genug, um die anderen beiden abzuholen und damit zu vermeiden, dass die Gruppe sich jetzt schon spaltete. “Im just curious, Aura. You said you don’t know where our location on the map is, but you were sure that the map is for this area...“ Er machte nicht einmal ein Fragezeichen dahinter, sondern ließ das so stehen.

“Yes, because…“ Weil eine Kreuzung auf der Karte war und sie davon ausging, dass es die in ihrem Tunnelsystem war. Aber sie stockte bei der Erklärung, weil sie 2 Sekunden länger darüber nachgedacht hatte und es dumm war davon auszugehen. Die Vampirin gab ein zischten von sich und drückte Ray die Karte vor die Brust. Sollte die sich damit doch blamieren! Dan und Aura marschierten voraus, während Riley anfangs ein ähnliches Tempo ging, dann jedoch langsamer wurde. Dan und Aura unterhielten sich darüber wie blöd alles war und das dieser Test überhaupt nichts über ihre kämpferischen Fähigkeiten aussagte. Sie fühlten sich zu sicher, weil es eine Übungssituation war. “What the fuck! My leg is stuck!“, meckerte Dan. Im Gang in Richtung Ausgang hingen Spinnenweben. Keine von den Mini-Spinnen. Die Bedrohung wurde hoffentlich auch den anderen bewusst. Die Spinnenweben machten sich ja nicht von allein!

Ray stand etwas abseits, als Aura ihr das Papier beinahe in die Brust rammte. Sie verzog keine Miene, nahm die Karte kommentarlos an sich und musterte die Linien darauf mit einer Mischung aus Skepsis und Abscheu. Karten waren wichtig, klar. Aber nur, wenn man sich darauf verlassen konnte, dass sie korrekt waren – und die Person, die sie las, wusste, was sie tat. Aura hatte eindeutig keinen Schimmer. „This isn’t a treasure map,“ murmelte sie trocken, während sie die Karte auf den Kopf drehte und kurz überlegte, ob sie die Route schnell entschlüsseln konnte. Ihr Tonfall war leise genug, dass Aura und Dan es vermutlich nicht hörten, aber Riley, der noch in ihrer Nähe war, schenkte ihr ein flüchtiges Grinsen. Immerhin einer, der nicht komplett unbrauchbar war. Sie blickte wieder auf. Dan und Aura hatten sich entschieden, einfach loszustapfen, offenbar ohne Rücksicht auf Logik oder Vorsicht. Ray ließ die Karte sinken, verschränkte die Arme und lehnte sich leicht gegen die feuchte Wand des Tunnels.

„So, that’s how you fail a mission before it even starts,“ bemerkte sie mit ihrem üblichen, bissigen Sarkasmus in Richtung Riley, der neben ihr stehen geblieben war. Ihre Worte waren ruhig, aber die scharfen Kanten darin waren unüberhörbar. Ein leises Rascheln in der Dunkelheit ließ sie die Schultern anspannen. Ihr Blick wanderte zu den Spinnenweben, die sich am Rande des Lichts wie silbrige Netze spannten. „Cute decor,“ murmelte sie, mehr zu sich selbst als zu Riley. Sie mochte keine Überraschungen – und schon gar keine, die aus Eiern schlüpften. Dann kam das Unvermeidliche. „What the fuck! My leg is stuck!“ Dan, natürlich. Ray hob nur eine Augenbraue. „Of course it is,“ kommentierte sie knapp, während sie sich von der Wand abstieß und langsam in seine Richtung ging. Aura stand daneben, ihre Hände fahrig vor der Brust verschränkt, und wirkte völlig nutzlos. Ray verdrehte die Augen. „Could you stop panicking for two seconds and actually look at what’s happening?“

Sie blieb ein paar Schritte vor Dan stehen und kniff die Augen leicht zusammen, während sie die Szene vor sich taxierte. Sein Bein war tatsächlich in etwas verklebt – dicke, zähe Spinnenweben, die sich um seinen Knöchel geschlungen hatten und nicht so aussahen, als würden sie sich leicht lösen lassen. Die Klebrigkeit war schon aus der Distanz sichtbar. „Let me guess, you didn’t see the massive fucking webs because you were too busy whining?“ Ihre Stimme war scharf wie ein Messer, aber sie kniete sich dennoch zu ihm hinunter, um die Situation genauer zu betrachten. Dabei hielt sie den Kopf gesenkt, immer darauf bedacht, ihre Umgebung im Blick zu behalten. Ein weiteres Rascheln, diesmal lauter. Ray hob den Kopf, ihre Augen blitzten in der Dunkelheit. „We’re not alone,“ sagte sie knapp, bevor sie sich wieder Dan zuwandte. „Riley, keep an eye out. And Aura—“ Sie hielt inne und musterte die Vampirin mit einem abschätzigen Blick. „Actually, never mind. Just try not to make it worse.“ Ray griff nach ihrem Messer und begann, die Spinnenweben mit gezielten Schnitten zu lösen. Das Zeug war zäher, als sie erwartet hatte, und es ließ sich nicht einfach durchtrennen. Der Kleber haftete unangenehm an ihren Handschuhen. Das Geräusch von Krallen, die über Stein kratzten, ließ sie innehalten. Ein langsames, schleichendes Geräusch, das sich näherte. „Everyone shut up and get ready.“ Dan zog die Luft scharf ein, als sie das letzte Stück Webbing durchtrennte und er sein Bein endlich befreien konnte. Ray stand auf und zog ihren Dolch, ihre Haltung jetzt angespannt und bereit. Sie sah Riley an, ihr Ausdruck eine Mischung aus Anspannung und düsterem Humor. „Wanna bet on what’s coming? My money’s on something with way too many legs.“

Er war sich gar nicht so sicher ob er bis Ende der Mission brauchte, bevor er ein Urteil fällen konnte. Dan und Aura waren in ihrer Performance eine Katastrophe. Ray hatte weiterhin Potenzial. Sie dachte weiter als bis zur nächsten Kreuzung und hatte gute Instinkte. Den Sarkasmus fand er auch nicht verkehrt. Traf schon seinen Humor, selbst wenn er das selten zeigte. Ihm fiel es prinzipiell nicht leicht Beziehungen aufzubauen. Bei Rekruten wollte er keine Sympathien zulassen, weil die jederzeit abgesägt werden konnten und im Team an sich, wollte er sich bei Missionen nicht von der Beziehungsebene beirren lassen. Die Leute, die er als sowas wie Freunde betiteln würde, befanden sich außerhalb der beiden Kategorien. Freundschaft zwischen verschiedenen Teamzugehörigkeiten aufrecht zu erhalten, war mit dem ständigen Konkurrenzkampf auch nicht easy.

Ray teilte aus und versuchte wieder Ordnung ins Chaos zu bringen, während seine Sinne schon Alarm schlugen. Riley hielt tatsächlich die Augen offen. Vor allem für Feuerstein in den Wänden. Der Werwolf zog sein Messer und hebelte ein Stück aus der Wand. Er wischte die Feuchtigkeit an seiner Jacke ab. “I won’t bet against that. It’s pretty obvious.“ Die Spinnenweben hatten sich ja nicht von selbst gespinnt. Dennoch zuckten seine Mundwinkel leicht nach oben. Kampflustig war sie auf jeden Fall, wie sie sich bereit machte und noch Wetten abschließen wollte. “We counter the first attack and then make sure we get out of here. Here is not enough space to dodge and we're in each other's way.“ Er reichte den Feuerstein nach hinten an Aura. “Do you want me to throw stones? Are you insane?“

“Burn the spiderwebs you fucking idiot!“, knurrte er. Jetzt ging es ums überleben, also übernahm er kurzfristig die Ansagen. Er wollte als Ausbilder nicht mit weniger Rekruten aus der Prüfung kommen. Wenn hier jemand aus dem Dienst ausschied, dann hatte Mother das letzte Wort. “Take the right side.“ Er würde sich um die Beine kümmern die von links nach ihren schlugen. Und da war das Prachtstück auch schon. Immerhin kein riesiges Vieh und scheinbar alleine. Riley hob sein Messer und blockte damit den ersten Haken.
Tatsächlich war es Dan, der Aura den Feuerstein aus der Hand nahm und mit den klobigen Händen filigran Funken schlug, weil sie es nicht hinbekam. Die Spinnenweben fingen Feuer und machten den Weg zum Ausgang frei.