Okay, dann würde er es ihr eben nicht verraten. Mei wusste es besser, als an Cyrus‘ Arm zu zupfen und ihn anzuflehen, ihr die Information trotzdem zu sagen. Außerdem besaß sie Schamgefühl und Würde. Also verdrehte sie einfach erneut die Augen und dachte sich ihren Teil. Wenn sie wieder in der Schule waren, würde es ihr irgendjemand schon verraten. Aber sie würde sich nicht die Blöße geben, von sich aus nachzufragen, weil Cy so etwas herausfinden konnte. Am Ende würde sie nur blöd dastehen, und darauf konnte sie wirklich verzichten.
So, wie sie darauf verzichten konnte, in dieser dämlichen Schlange anzustehen, als wäre sie ein normaler Mensch und aus der Mittelschicht. Anstatt also auf seine nachbohrende Frage einzugehen, deren Antwort er sich wirklich denken können sollte, bewegte sie sich zum Anfang der Warteschlange. Bevor sie in die Gondel eintreten konnte, hielt sie kurz inne und drehte sich zu dem Pärchen um, das sich immer noch lautstark bei dem unterbezahlten Mitarbeiter beschwerte. Mei zog ihre Mütze vom Kopf und warf sie dem Mädchen mit der Jacke vor die Füße. „Da. Das ist reines Cashmere. Verkauf sie auf Craigslist oder so, und hol dir bitte einen richtigen Mantel. Bei dem da“, meinte sie und deutete vage in ihre Richtung, „bereue ich glatt, dass ich mit der Fähigkeit des Sehens geboren wurde.“ Ekelhaft.

Ohne ihr die Möglichkeit einer Erwiderung zu lassen, machte sie auf dem Absatz kehrt und stieg rasch in die Gondel, damit Cyrus es auch noch schaffte. Das Surren des Stroms vibrierte unter ihrer Haut, als sie sich auf die Weste ihres Freundes niederließ und ihren Rock zurecht zupfte. Sie würde nicht gekünstelt einen halben Aufstand machen, dass er seine Kleidung nicht für sie beschmutzen sollte. Denn, doch, das sollte er. Er wurde von seinem Vater zu einem Gentleman erzogen, und so sollte er sich auch verhalten. Außerdem konnte er die Weste schnell mit Magie wieder säubern. War also alles nicht dramatisch.
Mei strich sich geschäftig die Haare glatt, ehe sie Cy anschaute und die Augenbraue langsam anhob. „Nein.“ Nicht, nein, ich werde deine Frage nicht beantworten, sondern nein, ich habe keinen Sex. Sie war erst dreizehn, ein Mädchen und ein Drache obendrein. Wer glaubte, dass Hexen rassistisch sein konnten, würden bei den Ansichten der Drachen vor Schock tot umkippen. „Mutter sagt, ich solle es bloß nicht wagen. Das würde meinen Wert schmälern.“ Weil man jungfräuliche Mädchen besser zur Heirat anbieten konnte. „Außerdem weißt du ganz genau, dass Drachen nicht mit anderen Rassen zusammenkommen.“ Höchstens, wenn man es darauf anlegte, von der gesamten Kolonie verstoßen zu werden. Und das tat sie nicht. „Ich bin der einzige Drache an der Akademie.“ Wusste Cyrus ebenfalls. „Wieso? Sag mir bloß nicht, dass du jetzt genau wie Henry deine Finger unter die Röcke der Mädchen schiebst.“ Bei der Vorstellung zog sie die Nase kraus. Jungs fand sie sowieso blöd. Abgesehen von Cyrus, weil sie mit dem Blonden aufgewachsen war.