Geschrieben 12-07-2024, 11:06 AM by: Lizzie
Schulwechsel waren weniger kompliziert als zuvor angenommen. Noch nie war Mei auf eine öffentliche Schule gegangen, war bislang in den Genuss der sündhaft teuren Privatakademie gekommen, auf welche sie seit der Grundschulzeit gegangen war. Für das Drachenmädchen war dieser erste Tag also eine vollkommen neue Erfahrung. Zwar hatte sie Sage an ihrer Seite gehabt, konnte aber schon im Vorfeld erahnen, dass die Chinesin nicht sonderlich weit oben in der Hackordnung stehen konnte. Dafür war sie einfach zu nett und knickte zu schnell ein. Versteckte sich zu gern in den Schatten anderer, fiel nicht auf und zog den Kopf ein, damit sie auf so wenig Widerstand wie möglich stieß. Nicht gerade etwas, das die Japanerin gut konnte. Hatte sie noch nie geschafft. Stattdessen hatte sie es sich zur Aufgabe gemacht, die nächsten Jahre zu einer vollkommen neuen Erfahrung für sich und ihre beste Freundin zu machen. Gerade an einer neuen Schule – High School, wie aufregend! – wo sie niemand kannte. Wo sie ein unbeschriebenes Blatt war und keiner ahnen konnte, was sie auf dem Kasten hatte. So zumindest die Annahme, denn dass das reiche Mädchen freiwillig von der Privatschule gegangen und sich stattdessen dazu herabgelassen hatte, eine öffentliche Schule zu besuchen, die deutlich unter ihrem Niveau war, sprach sich nun mal rum.
Während Sage einzig und allein auf diese Schule ging, weil die jährlichen Gebühren so lächerlich niedrig und damit deutlich erschwinglicher waren als die anderer in der Stadt, hatte sich Mei einzig und allein wegen des Wunsches, ihr nahe zu sein, dort eingeschrieben. Dass die verzogene Göre sich unter das niedere Volk mischte, als würde sie einen Tag im Zoo verbringen, sprach sich schnell rum. Sage mochte das nicht, denn sie kannte einige ihrer Klassenkameraden noch von der Mittelschule. Mei hingegen störte sich nicht daran, war sie deutlich robuster und härter im Nehmen, als ihre zart besaitete Freundin. Mental darauf vorbereitet, hatte sie von der ersten Minute an die Ellenbogen ausgefahren und klargemacht, dass man nicht auf ihr herumhacken konnte. Sie wusste, wo ihr Platz in der Gesellschaft war und dass sie viele der hier Anwesenden mit einem einzigen Anruf ruinieren konnte, wenn man sie provozierte.
Dadurch, dass sie sehr sportlich unterwegs war und sich schon während der Ferien vorgenommen hatte, sich den Cheerleaderinnen anzuschließen, war ihr die Position an der Spitze für die nächsten vier Jahre sicher.
Mit einem breiten Grinsen auf den Lippen ließ sie ihre Finger über einen ihrer zwei geflochtenen Zöpfe wandern. Das erste Training – oder eher das Reinschnuppern – der Cheerleaderinnen war gerade zum Ende gekommen. Tragisch eigentlich, dass sie sich den Übungsplatz mit den rüpelhaften Sportlern teilen mussten. Diese Schule war wirklich scheiße, wenn sie sich nicht einmal einen eigenen Raum dafür leisten konnten. Mei erblickte ihre Freundin auf den Tribünen, welche gequält dreinblickte und darauf wartete, dass das Drachenmädchen und die anderen Mädels nach ihrem abgeschlossenen Training zu ihr fanden. Man sah ihr an, dass sie sich unwohl fühlte. Mei hingegen war sehr zufrieden mit sich.
Als sie im Begriff war, sich zu den anderen zu setzen, vernahmen ihre feinen Ohren einen warnenden Ausruf. Irritiert machte sie eine halbe Drehung. Wie in Zeitlupe bewegte sich der Football auf sie zu, steuerte zielgenau ihr Gesicht an. Nun hatte sie zwei Möglichkeiten: entweder nahm sie das Teil an, ließ es an ihren Kopf donnern und arrangierte sich mit den potentiellen Folgen. Eine gebrochene Nase, mindestens. Die Geschwindigkeit war alles andere als normal, selbst für einen Footballspieler. Sie könnte ausweichen, doch als Mensch wäre sie dazu nicht in der Lage. Auch, ihn leichthändig abzufangen war nicht realistisch und würde Fragen aufwerfen. Also entschied sie sich für die einzig verbliebene Alternative. Ihre Hände schnellten hervor, fingen das Geschoss knapp vor ihrem Gesicht ab. Etwas knackte, und heißer Schmerz zuckte von ihrem Handgelenk in ihren Ellenbogen. Der Football prallte an ihrer Handfläche ab, kam irgendwo neben ihr zwischen den Sitzbänken auf. Die anderen Mädchen kreischten, und Mei rieb sich das pochende Handgelenk.
Wütend hob sie den Blick, fand die Person, welche den Ball geworfen und – scheinbar – warnend ausgerufen hatte. Ein großgewachsener Typ im Football-Jersey. Da seine Front ihr zugewandt war, konnte sie nur die Nummer, aber den Namen darauf nicht erkennen. Hass flackerte in ihren Iriden auf, brannte lichterloh.
„Montgomery! Verdammt noch mal, pass doch auf, wo du hinwirfst!“, rief eine Brünette neben ihr.
Montgomery. Bei dem Namen ratterte es in ihrem Oberstübchen.
Sage war bereits neben ihr und betrachtete sorgevoll das anschwellende Handgelenk. Vermutlich gebrochen. Scheiße, und das am ersten Schultag.
„Was ist denn dein verfluchtes Problem?“, fuhr sie den Kerl an, riss sich von Sage los und stapfte über das Feld auf den Typen zu. Der Zeigefinger ihrer gesunden Hand bohrte sich in seine Brust.
„Du hättest mir fast das Genick gebrochen!“ Obgleich sie kleiner war als er, baute sie sich vor ihm auf. Sie hatte Schwierigkeiten damit, ihre Magie zu kontrollieren.
„Und nenn mich nicht Täubchen, Montgomery. Hat dein Vater dir keine Manieren beigebracht, bevor er dich und deine Mutter hat sitzenlassen?“, zischte sie dann leiser, ein wissendes Funkeln in ihren Augen.
„Ja, ich weiß ganz genau, wer du bist, Freundchen. Pass bloß auf, dass ich dich nicht wegen Körperverletzung in Grund und Boden klage und du es dir nicht mal mehr leisten können wirst, auf diesen Witz einer Schule zu gehen.“ War auch schwer, ihn nicht zu kennen. Trotz der Bemühungen seines Vaters, hatte die Scheidung der beiden Wellen gemacht. Nicht zuletzt, weil Cy's Vater den von Montgomery vor Gericht vertreten hatte. Sie wusste genug über den Kerl vor sich, um sich über ihn lustig zu machen.