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Geschrieben 09-18-2024, 07:14 PM by: keeda
Fiona konnte sich gut vorstellen, dass es viele Leute oder Wesen gab, die Charles gegenüber feindlich eingestellt waren. Das lag nicht alleine daran, dass er seine Zähne in den falschen Menschen geschlagen haben könnte und die hinterlassenen Personen mit dem Verlust nicht klar kamen und Rache schworen. Es war auch die Art, die Charles an sich hatte - dieses herausfordernde und überhebliche, wenn seine zurückhaltende Fassade zu bröckeln begann. Als würde er es darauf anlegen, Rivalitäten und Feindschaften zu kreieren - aus welchen Gründen auch immer.
Fiona war nicht oft in den Geschmack gekommen, Charles derart zu erleben. Ihr gegenüber verhielt er sich anders, anders als zu Anderen, was wohl an seinem Besitzdenken lag oder an jener Verbindung, die sie unweigerlich teilten, seitdem sie sich im Anwesen ihres Zirkels das erste Mal begegnet waren. Fiona bildete sich nichts auf ihr Verhältnis zu Charles ein, obgleich sie das - und das zurecht - könnte.
Manchmal fragte sie sich, warum er sie einst nicht getötet hatte. Damals, als er ihr, als Gefangener ihres Zirkels, wirklich alles versprochen hätte, um sein Leben zu verschonen. Die Fragen nach ihren Sehnsüchten und Wünschen, nach denen sie nie zuvor gefragt worden war. Der Manipulation eines Vampires ausgesetzt, der sie trotz besserem Wissen nur allzu bereitwillig lauschte. Fiona
wollte diesen Worten Glauben schenken. Sie ignorierte bewusst, dass diese Worte einzig und allein seinem eigenen Zweck dienen könnten, sich aus seinem magischen Gefängnis zu befreien und denen letztendlich keinerlei Bedeutung innewohnte.
Weil es ihr egal war.
Charles hätte sie töten können.
Sie, die sie schockiert über die Brutalität und Rücksichtslosigkeit seines Vorgehens, das Gemetzel aus erster Reihe mit ansehen musste, nachdem sie das Ritual willentlich sabotierte und ihn aus seinem magischen
Gefängnis entließ. Sie, die sie voller Ehrfurcht und Bewunderung seiner grausamen Taten beiwohnte, mit welcher er ihre Fesseln sprengte, die sie an diesen Zirkel gebunden hatten. Fiona unternahm rein gar nichts, um Charles davon abzuhalten, sein Werk zu verrichten. Es war keine Überraschung für sie, dass er das Leben jeder einzelnen Hexe ihres Zirkels einforderte und gewaltsam beendete. Es war schließlich Teil ihrer Abmachung.
Fiona war in ihrem Leben nie glücklich gewesen - ihre gute Laune lediglich eine Maske, um intimere Fragen im Vornherein abzuwehren. Die Konventionen, in denen sie gefangen war, ihrem
Schicksal zwanghaft erlegen, ihr Leben als Teil eines Hexenzirkels zu fristen, mit Blut gebunden und für alle Zeit.
Fionas sehnlichster Wunsch war es,
frei zu sein. Frei dorthin zu gehen, wohin sie es wünschte. Magie und ihre Grenzen auszutesten, nach der es ihr verlangte. Sie wollte frei von jeglichem Zwang sein, frei von emotionalen Bindungen, nach denen sie nicht gebeten hatte und frei von den Regeln und Gesetzen, die man ihr auferlegte. Fiona wollte frei von dem Zirkel sein, der ihr familiärer Rückhalt hätte sein sollen und doch nicht mehr war als das eisige
Gefängnis auf Lebenszeit.
Und Charles erfüllte ihr diesen Wunsch.
Mit Blut und Tod.
Charles hätte sie töten können, doch er verschonte ihr Leben.
Es war niemals Teil der Abmachung gewesen, dass Fiona ihm folgen oder gehorchen musste. Ihre Wege hätten sich in dem Moment trennen können, als er ihren Traum erfüllte und sie in den Trümmern ihrer Vergangenheit zurückgelassen hatte. Fiona entschied sich aus freien Stücken, Charles zu folgen. Sie war es, die die Initiative ergriffen und sich zu seinem Anhang gemacht hatte.
Auch wenn Charles davon redete, dass sie lediglich ein Mensch und damit Nahrung war - wenngleich mit magischem Potential ausgestattet, ein bisschen mehr Wert besaß - so interessierte es Fiona herzlich wenig, was er damit bezwecken wollte. Sie ließ sich nur schwerlich unterdrücken, war sich der Gefahr, die von ihm ausging, jedoch immer bewusst. Charles war eigennützig, brutal und dominant, da machte sie sich nichts vor, hatte aber auch absolut nicht den Anspruch, ihn verändern zu wollen. Ganz im Gegenteil unterstützte sie ihn sogar bei seinen Plänen, sofern es ihr möglich war - widersprach ihm aber auch, wenn sie eine Idee nicht gänzlich überzeugte. Charles war über die Jahre in einem schleichenden Prozess zu ihrem Gefährten geworden, zu ihrer
Familie, die sie liebte. Sie liebte ihn bedingungslos für das, was er war, ohne der Illusion zu erliegen, dass ihre Leben jemals so eng miteinander verwoben sein könnten, wie es bei Liebes- und Lebenspartnern der Fall wäre. Eine derartige Bindung widerspräche ihrem Gefühl der Freiheit womöglich viel zu sehr. Wissen konnte sie es jedoch nicht, denn es fehlte ihr schlicht an Erfahrung.
“Du scheinst angstfrei, aber ich denke, es ist eine Fassade”, antwortete sie schmunzelnd auf seine Nachfrage. Fiona hatte ihn noch nie ängstlich erlebt. Weder panisch nach einem Ausweg oder einer Lösung suchend, noch eingeschüchtert den Weg eines stärkeren Wesens meidend. Aber jedes Wesen hatte Angst und das würde auch Charles mit einschließen.
“Ich habe ein Ritual in meinem Grimoire stehen, der deine tiefsten Ängste offen legen könnte, falls du es herausfinden willst.” Sie grinste stichelnd, sah seitlich zu Charles und reckte selbstbewusst ihr Kinn in die Höhe. Dass es sich dabei nicht um weiße Magie handelte, stand wohl ganz außer Frage. Ebenso, wie es außer Frage stand, dass sie diesen Zauber nicht ein einziges Mal angewendet hatte und absolut im Unklaren war, was bei einer falschen Ausführung für dramatische und unumkehrbare Konsequenzen auftreten könnten. Keine Faktoren, die sie davor zurückschrecken lassen würden, dieses Ritual auf Charles anzuwenden… sollte er es wünschen.
Charles hatte recht. Die Vampire waren selbst nicht gewillt, etwas an ihrer Situation zu ändern. Sicher gab es einige rebellische Exemplare, doch allein hätten sie niemals die Chance etwas Bewegendes voranzutreiben. Und so war auch Charles daran gebunden, die Füße still zu halten und sein Leben in einer erzwungenen Koexistenz zu fristen und nicht wie gewünscht mittels totalitärer Dominanz. Sie nickte, murrte zustimmend, sagte jedoch nichts weiter. Charles war alt und stark, er wäre mit Sicherheit in der Lage einen Clan mit Gleichgesinnten um sich zu scharen, um den ersten Schritt seines Traums in die Wege zu leiten. Andererseits hatte Fiona ihn als Einzelgänger kennengelernt, der sich nicht gerne eine solche Verantwortung aufband. Aber wer wusste schon, was die Zukunft bringen würde. Fiona würde ihm diesen Grundstein für sein Weltimperium irgendwann als Thematik präsentieren, so wie sie jeden Gedanken mit ihm teilte, der in ihrem Kopf herumschwirrte.
Fiona wusste, dass Charles diese Anflüge von Nähe, die sie zuweilen verspürte, aber vor Allem wenn sie sich müde oder einsam fühlte, lediglich ertrug, als sie zu genießen. Es war nicht so, als hätte er Fiona jemals nur aus einer Art Verbundenheit heraus die Hand aufmunternd auf ihre Schulter gelegt oder sie gar in den Arm genommen. Sie trennte eine unsichtbare Barriere voneinander. Eine Art Pakt, unausgesprochen, doch elementar. Dieser beinhaltete nicht nur die räumliche Distanz, welche permanent herrschte, wenn sie zusammen waren und es keiner Show unter anderen Menschen bedurfte, sondern auch die Zurückhaltung von Charles, die sie vor jeglichem physischem Leid bewahrte. Fiona wurde weder geschlagen, noch grob angepackt oder festgehalten. Dies schloss das Trinken ihres Blutes selbstredend mit ein, denn auch dieses hatte Charles in all den Jahren, in denen sie an seiner Seite war, nicht ein einziges Mal gekostet.
Es war dieser
Pakt, den Fiona mit ihren schwächlichen Anfällen von Nähe ausreizte. Es war diese Nähe, die sie sich wünschte - diese
verbotene Nähe, die ihr Leben in Sekundenbruchteilen beenden könnte. In diesen schwachen Momenten wollte sie ihn, gänzlich, ganz gleich der Konsequenzen. Wahrscheinlich war es ihr
Glück, dass es Charles selbst war, der die Kraft in der Verlockung fand, die Situation zu ertragen und schließlich charmant, aber konsequent zu beenden.
Fiona hob ihren Kopf und richtete sich auf. Sie fühlte sich nicht müde, aber sie erkannte den von Charles gezogenen Schlussstrich, als er die Stille durchbrach. Bis hierher und nicht weiter. Ihre Augen richteten sich recht zögerlich auf ihn, da sie bereits ahnte, dass er angespannter war. Doch sie stand ohne zu murren auf und klopfte sich den Dreck von der Kleidung.
“Gute Nacht”, wünschte sie ihm trotz allem, ging zu ihrem Nachtquartier und kuschelte sich samt Klamotten in den Schlafsack, der für sie bereitgelegt worden war. Fiona schloss die Augen, doch ihre Gedanken rasten. Ihr Wunsch, einen Dämonen kennenzulernen und mit ihm Zeit zu verbringen, würde sie etwas
kosten. Ein Dämon würde einen Nutzen aus ihr ziehen wollen, sie sollte einen Mehrwert haben… Fleisch, Blut, Erstgeborenes, Seele,... Opfer, die sie nicht bieten konnte und sich anfühlen würden wie Verrat. Es musste einen anderen Weg geben, einen versöhnlichen Kompromiss, nicht derart persönlich, dass es ihr Leben oder ihre Freiheit aufs Spiel setzen würde. Eine Lösung für diese Misere blieb diese Nacht jedoch aus.
Das Heulen eines in der Ferne befindlichen Wolfes war das Letzte, was sie hörte, als ihre Augen zufielen.