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Geschrieben 09-17-2024, 06:27 PM by: Fips
Auch die junge Hexe an seiner Seite schmunzelte, gefolgt von einer Rückfrage, die Charles jedoch erst einmal für sich wirken ließ. Im Grunde war es die Frage, die so oft in ähnlicher Form Gestalt annahm, die nach dem, was wohl zuerst da gewesen sein mochte. Das Huhn - oder das Ei? Vermutlich verlangte sie nicht wirklich nach einer Antwort, weshalb der Vampir dem nichts weiter hinzugefügt hatte. Interessanter wurde es, als prompt jedoch die Folgefrage dazu kam. Vielleicht.. hätte er es bereits ahnen müssen. Eigentlich.. eigentlich war sich Charles sogar sicher, dass sogar jetzt noch Versuche angestellt wurden, ihm irgendwie auf die Schliche zu kommen. Vielleicht aktuell nicht einmal ihm höchstpersönlich, aber Jäger und derlei Geschmeiß gab es zu jeder Zeit auf dieser Welt, so lange es auch übernatürliche Wesen gäbe, daher war auch diese Frage eigentlich recht selbsterklärend.
„Möglich.“ hielt er sich jedoch vage.
„Ich habe keine Liste darüber geführt.“ dabei wäre das gar keine allzu dumme Idee, befand der Vampir insgeheim. Er hatte tatsächlich in seinem Unleben so einigen Wesen mit vollster Absicht gegen das Bein gepinkelt, dass er fast schon enttäuscht wäre, würde nicht irgendjemand ihm selbst jetzt gerade noch dafür grämen. Allerdings befand er ebenso, dass es nicht sonderlich angebracht wäre, die junge Hexe an seiner Seite zu verängstigen. Nur, dass es mindestens zwei dutzend gute Hand voll Wesen gab, die ihn tatsächlich mausetot, gepflockt, gevierteilt und der endgültigen Sonne ausgesetzt würden sehen wollen und mehr oder minder entsprechende Mühen darauf verwendeten, ihn auch in die Finger zu bekommen, musste ja nun andererseits auch nicht heißen, dass er die kleine, zierliche Gestalt bei ihm darüber in Kenntnis setzen musste. Ob er Angst hatte? Nun sogar grinste der Vampir angemessen unverschämt. Mit wahrem Genuss holte er die Erinnerung zurück ins eigene Bewusstsein, in der er vor wenigen Jahren die komplette, menschliche Verwandtschaft der kleinen Hexe abgeschlachtet hatte, während sie dem in nächster Nähe beiwohnte, halb in Schockstarre verfallen, halb jedoch in bewundernder Ehrfurcht erstarrt. Sie hatte ihn nicht daran gehindert. Sie hatte es nicht einmal versucht. Es hätte dabei deutlich schlechter für ihn laufen können. Ein nekromantisches Blutritual hätte den Vampir das irdische Dasein kosten können - doch wie so oft war er viel gespannter darauf, zu sehen, was passierte, als sich mit der Furcht vor dem zu befassen, was daraus hätte resultieren können, wäre die Rechnung der Sterblichen aufgegangen. Er hatte aus kalter, pragmatischer Berechnung das für ihn fassbarste, nahbarste Glied dieser Kette geschnappt und manipuliert. Sehnsüchte geweckt. Und am Ende hatte sie ihre Rasse verraten, bereitwillig den Tod von ihren eigenen Leuten hingenommen.
„Was denkst du?“ Es war gut, dass es war, wie es war. Dass sie sich am Ende doch sicher und geborgen bei ihm fühlte. Als Anhängsel und Besitztum eines Vampirs. So weit jedenfalls, dass sie ihm folgte, wie sie auch seinen Handlungen bedingungslos vertraute.
Nun, abgesehen vielleicht der erträumten Weltordnung, die er, das musste er zugeben, tatsächlich noch nicht weiter verfolgt hatte.
„Das unausgereifte Konzept beginnt bereits darin, dass die wenigen Clans noch immer im Glauben leben, dass es besser sei, sich vor den Menschen zu verstecken, als seien sie selbst die Ratten der Kanalisation.“ warf Charles schließlich schroff ein. Das war seiner Ansicht das aktuell sogar noch viel größere Problem.
„Dass sie Koexistenz im Schatten als erstrebenswertes, großes Ganzes sehen.“ knurrte er abfällig, während seine Stimme bedrohlich leiser wurde. Aber da schließlich lag der Werwolf begraben. Solange dieses Denken noch die Existenz der eigenen Rasse dominierte, musste er sich um die Erhaltung der Menschen wohl wahrlich keine Gedanken machen. Es erzürnte ihn, dass es Vampire gab, die bereitwillig Tierblut zu sich nahmen, von Mäusen, Ratten, Katzen und Hamstern tranken, als seien das tatsächlich erwähnenswert delikate Snacks, wie auch welche, die sich des nachts in Blutbanken und Krankenhäuser schlichen, um erkaltete Konserven aus Beuteln zu stehlen und sich daran zu laben. Es war erbärmlich. Verräter an ihrem eigenen Volk.
Das Holz knisterte unter den züngelnden Flammen des wärmenden Feuers. Hin und wieder war sogar ein Knacken zu hören. Charles betrachtete die junge Gestalt im Schein der Flammen dicht neben sich, die die Arme um die angezogenen Knie schlang, als wollte sie sich damit selbst umarmen. Wärmen, vermutlich vielmehr. Er beobachtete, wie das rot-orange-gold der Flammen über ihre Miene tänzelte, sie teils jünger, teils wieder mystisch älter wirken ließ. Doch er schwieg. Sowohl auf ihren Dank hin, wie auch auf die Antwort, die sie ihm auf die zuvor gestellte Frage lieferte. Es war nun nicht, dass er die Antworten auf all ihre Fragen hätte. Vielleicht hätte er sie ihr ohnehin nicht geben wollen, gar können. Doch er war interessiert an ihrer Ansicht. An dem, was bislang unausgesprochen blieb, vielleicht sogar. Es war nicht spurlos an ihm vorbei gegangen, so dass er sich selbst diese nicht unbedeutende Frage stellte, was es war, das ihr diesen Wunsch abrang. Was es war, das an ihr so nagte, dass sie sich all diese Fragen überhaupt erst stellte.
Ob er schon einmal einen echten Dämon gesehen hatte? Nun erst fiel sein Blick von ihr zurück auf das lodernde Spiel der Flammen. Prompt war es wieder da. Dieses Nagen irgendwo in seinem Inneren. Dieser nadelfeine Stich. Dieses Gefühl, das ihn manchmal überfiel, ohne, dass er darum gebeten hatte. Ihr Kopf fand den Weg an seine Schulter. Auch darum hatte er nicht gebeten. Doch er regte sich kein Stück. Er spürte die leichte Wärme, die von ihrer erhitzten Wange auf seine kühle Schulter überging. Es war dieses Nähe-Ding der Menschen. Er machte ihr keinen Vorwurf. Wies sie nicht ab. Es war nun nicht, dass es ihm völlig fremd war. Schließlich war auch er einmal ein Mensch, auch, wenn es nicht einmal mehr eine verblasste Erinnerung war. Charles bemühte sich, sich nicht zu sehr auf diese Wärme zu fokussieren. Nicht zu sehr, zu viel über den Ursprung ebendieser Wärme nachzudenken. Ihr sicher köstliches Blut, das durch ihr Herz gepumpt wurde, Blut, das ihm ohnehin schon viel zu präsent in der Nase lag. Ob er schon einmal einen Dämon gesehen hatte? Wieder eine Frage, deren Antwort er ihr schuldig bliebe. Ob sie realistische Chancen hätte, ihn Dinge zu fragen? Oder ob er sie sofort töten würde?
„Das wird davon abhängen, auf welchen Dämon du stößt.. ob du von Wert für ihn bist.. und was er sich von dir erhofft. Dein Fleisch? Dein Blut? Dein Erstgeborenes? Deine Seele?“ Er mochte es ungern zugeben, doch Dämonen schienen dahingehend komplexer gestrickt zu sein als Vampire. Es mochte unwahrscheinlich sein, dass sich Dämonen zu Clans zusammen rotteten, was allein schon in der Mannigfaltigkeit ihrer Begierden begründet lag. Vielleicht hatte er, Charles, unsagbares Glück, dass er die seines Herren befriedigen konnte, ohne selbst jemals zum endgültigen Opfer des Dämons geworden zu sein. Es hatte ihn wahrlich viel Blut, Fleisch und noch mehr Schmerzen gekostet, jedoch nie seine Existenz.
„Es ist spät. Ruh dich aus. Wir haben morgen noch einen weiten Weg vor uns.“ wies er die junge Hexe nach einer kleinen Weile des Schweigens schließlich an. Es war nicht einmal, dass er der Diskussion überdrüssig war. Doch jetzt gerade hatte er das Bedürfnis, allein zu sein. Nachzudenken. Physischen Abstand zu gewinnen, um Gedanken zu ordnen und Gefühle, wie Begierden sorgsam zu verschließen. Die klare, kühle Nacht schien perfekt dafür. Der Vollmond stand bereits hoch am Himmel.