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Geschrieben 09-04-2024, 07:12 PM by: keeda
Das Schweigen ihres
Gesprächspartners hielt Fiona nicht davon ab, einfach weiter zu reden. Es hatte sie noch nie gestört, wenn jemand schweigsamer oder schüchterner gewesen war. Wenn jemand lediglich ein verlegenes Seufzen oder ein genervtes Knurren von sich gab. Sie redete einfach weiter, lächelte herzerwärmend und einladend, ohne zu viel zu fordern. Sie ließ den Leuten ihre Zeit, sich ihr zu öffnen und wenn nicht, dann war es nicht schlimm. Fiona hatte genug Gesprächsstoff für zwei Personen. Tja und wenn man ihr sagte, dass sie nervte oder gar den Mund verbieten wollte, dann sah sie es mehr als Herausforderung als sich eingeschüchtert zurückzuziehen. Natürlich konnte sie es mit ihrer Art nicht jedem Recht machen, aber darüber war sie sich im Klaren und stand darüber. Es gab wirklich niemanden auf der Welt, dessen Meinung für sie eine entscheidende Relevanz gehabt hätte, dass sie sich schlecht fühlen würde. Niemanden. Bis auf Charles. Der Vampir übte eine vertraute und bestimmende Autorität auf sie aus, ohne sie zu bedrohen. Sie konnte seine Erfahrungen und Erlebnisse geradezu spüren, diese Überlegenheit an Wissen, der sie sich zwar nicht eingeschüchtert gegenübersah, aber eine große Bewunderung für ihn auslöste. Fiona hatte immer das Gefühl, dass sie freiwillig bei ihm war, selbst wenn er ihr offen ins Gesicht sagte, dass sie sein Eigentum war. Sie fühlte sich nicht unterdrückt, obwohl er ihr vermittelte, dass sie schwach war. Seine Handlungen jedoch spiegelten nicht seine Worte wieder. Charles kümmerte sich um sie und ging auf ihre Bedürfnisse ein, statt sie zu züchtigen. Er ging mit ihr Essen, statt sich an ihr zu vergreifen. Es wäre ein Leichtes für ihn, sie als Blutbeutel zu missbrauchen oder ihr Genick zu brechen, wenn sie ihm lästig war, sei sie derart wertlos, wie seine leeren Worte ihr weismachen wollten. Doch Fiona konnte nicht umhin, das Gute in ihm zu sehen. Ob es nun ihre Sturheit oder ihre Naivität war - sie mochte diesen gewalttätigen, besitzergreifenden und selbstverherrlichenden Vampir so wie er war. Fiona wusste, dass sie als Mensch eine ganz besondere Stellung bei Charles einnahm: Eben wie ein unterhaltsames lebhaftes Haustier, was man sich hielt, um nicht einsam zu sein.
Ihre durchdringend grünen Augen lagen erwartungsvoll auf Charles, als sie vom Baumstamm herunter sprang und sich vor ihn gestellt hatte, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Fiona war sich sicher, dass er jedes Wort gehört hatte, das sie von sich gegeben hatte. Es wäre was Neues gewesen, würde Charles langsam taub werden, zumal sein Gehör so viel besser war als ihr eigenes. Die Antwort jedoch… ließ sie verstummen. Fiona schob ihre Augenbrauen zusammen und schürzte die Lippen, ließ ihre Arme sinken und den Weg an seiner Seite fortsetzen. Charles Einwände klangen - wie so oft - ziemlich einleuchtend. Es waren zwar nur Gegenfragen, doch es regte sie zum Nachdenken an.
“Es geht ja nicht um Barmherzigkeit”, ruderte sie zurück. Sie wollte gewiss nicht die zweifelsohne grausame Natur von Vampiren und Dämonen untergraben. Es ging nicht um Änderung, sondern um Verbesserung! Kooperation! Weitsicht!
“Wenn du sie nicht leer trinkst, vielleicht dann…?” Fiona sah seitlich zu Charles auf, ihr fragender Blick war alles andere als überzeugt.
“Es müsste für den Dämon schon noch reizvoll sein.” Aber brauchten sie dann überhaupt einen Dämonen, wenn Charles eh keine Menschen tötete? Wäre nicht alles fein, würde er seine Beute nicht gänzlich aussaugen?
Zuweil hegte Charles sonderbare Ansichten einer von ihm favorisierten Weltordnung, in der die Vampire an der Macht kamen - nicht nur an der Spitze der Nahrungskette, wie sie es ohnehin bereits waren - sondern aus dem Schatten getretene Übermächte, die sich die andere Wesen Untertan machten und Menschen nunmehr nichts anderes mehr wären als Nutzvieh.
“Es wäre anders, wenn deine Vision Realität werden würde. Wie lange würde es dauern, bis es keine Menschen mehr geben würde…?”
Fiona überging Charles leichte Gereiztheit natürlich spielend. Realisierte es noch nicht einmal. Dass er mal patziger antwortete, war sie gewohnt. Zwar konnte sie sich nicht erklären, woran es zuweilen lag, aber dieses Mal sicher der Thematik wegen. Es war eben kein leichtes Thema. Es war noch nicht einmal relevant. Fiona mochte es lediglich mit ihm zu reden. Überlegungen anzustellen, die sie nicht mehr betreffen werden. Wahrscheinlich würde sie die vampirische Offenbarung gegenüber der Menschheit, um sie alle zu versklaven, gar nicht mehr mitbekommen. Im Gegensatz zu Charles würde die Zeit sie holen - früher oder später.
Charles' Schlussfolgerung, dass sie Hunger haben könnte, überraschte sie. Machte er sich Sorgen? Als würde sie ein solches blutiges Thema anschneiden, weil sie selbst Hunger hatte? Fiona war doch kein Vampir. Der Vergleich brachte sie zum Lachen, schüttelte dann aber entschuldigend den Kopf.
“Nein, nein, es war nur… Ich hatte darüber nachgedacht, wie cool es wäre, wenn uns ein Dämon begleiten würde und da hat sich das Thema etwas verselbständigt. Hast du denn davon Hunger bekommen?” Nett gemeinte Gegenfrage. Dass Fiona damit jedoch gar nicht mal so falsch lag, hätte sie nicht erwartet. Bevor sie in die Wildnis aufgebrochen waren, hatte er sich schließlich einen ausgiebigen Drink gegönnt. Wer wusste schon, wie lange sie der Zivilisation den Rücken kehrten?
“Alles klar! Ich hole ein bisschen Holz für ein Feuer!” Natürlich damit
Fiona es ein bisschen warm hatte. Die mit Feuchtigkeit geschwängerte Luft des Waldes, gemischt mit dem Bachlauf in unmittelbarer Nähe, kühlte die Umgebung nur weiter herunter. Charles mochte nicht auf Wärme angewiesen sein, Fiona jedoch umso mehr. Sie legte ihren Rucksack auf den Boden und begann Holz vom Boden aufzusammeln. Es war feucht, aber nichts, was sie nicht mit ein bisschen mehr Einsatz ihrer Magie irgendwann zum Brennen bringen könnte.