Riptide

Er fand sich eindeutig zu oft im Büro der Direktorin wieder… Die sich nun über ihren riesigen Schreibtisch beugte und auffordernd seinen Blick suchte. „So what do we say?“ Für wie alt hielt sie ihn? Fünf? Der Neunjährige funkelte sie aus tsunami-grauen Augen an, ehe er zu dem älteren Schüler blickte. „You deserved it. And if you ever push my sis again, next time it‘s gonna hurt even more!“ Sicher nicht das, wozu die Direktorin ihn gerade aufgefordert hatte. Aber das, was er fühlte. Leviathan leckte sich über die aufgeplatzte Lippe. Irritierenderweise mochte den leicht metallischen Geschmack. Es pisste ihn nur an, dass es sein Blut war.
Der andere Junge sah kurz so aus, als würde er zurückzicken wollen, blickte dann jedoch stattdessen schleimerhaft zur Direktorin. „I already said it was an accident.“ „So my fist meeting your giant nose was an accident, too“, konnte Levi es sich nicht verkneifen.

Die Direktorin schickte den anderen, der immer noch Taschentücher in den Nasenlöchern hatte, raus und zur Krankenschwester. Dann fokussierte sie sich wieder auf den Problemfall. „I know you only wanted to protect your little sister. But that‘s not how we handle things here.“ Ihre weiteren Worte zogen geradezu an ihm vorbei. Ja, er passte immer auf Lily auf. Aber… war das wirklich schon alles? Hatte er sich nicht einfach nur prügeln wollen und das beiläufige Anrempeln als guten Grund empfunden?
Irgendwann griff die Direktorin nach dem Telefonhörer und rief seine Mutter an. Sie sprach mit gedämpfter Stimme, aber Leviathan konnte alles hören. Sogar die Antworten seiner Mom. Er verstand nie, wieso andere Menschen so… schwerhörig waren. Anfangs hatte er noch geglaubt, das sei ein Erwachsenending. Aber auch seine Mitschüler bekamen so viel weniger mit als er. Taub. Blind. Weitaus weniger reizüberflutet…
Seine Mutter betonte, dass sie nichts dafür konnte, dass er so war. Dass jede Erziehungsmaßnahme nicht fruchten würde, weil er dafür zu sehr Seamonster wie sein Vater war. Woraufhin die Direktorin versuchte ihr zu verklickern, dass es für die gesunde Entwicklung eines Kindes nicht gut war vom männlichen Elternteil als Ungeheuer zu sprechen.

Leviathan rutschte derweil heimlich, still und leise von der Strafbank und linste aus dem Fenster. Seine Klasse befand sich gerade auf dem Weg über den Pausenhof zum Kunstraum. Handwerken ging ja noch, aber mit Bildchen malen konnte er nun wirklich nichts anfangen.
Die Direktorin räusperte sich und erklärte ihm, dass er für heute Nachhause geschickt werden würde. Ja, klar. Als würde er dort hin wollen. Noch viel weniger als in die Schule. Heute hatte sein Stiefvater keine Schicht. Der würde nur wieder lauthals verkünden, dass Leviathan nicht ins Bilderbuch dieser idyllischen Familie passte.

Trotzdem nickte er. Und verließ das Büro. Natürlich ohne Reue zu verkünden. Aber anstatt das Schulgelände sofort zu verlassen, eilte er über den Hof. Der Ton seiner Augen schwappte zu einem hellen Südseeblau, vielleicht mit ein paar frechen grünen Spritzern, als er sie erblickte. Beinahe sicher, dass sie sich bereits suchend nach ihm umgesehen hatte.
Kurz bevor das Mädchen mit der lockigen Mähne ins Gebäude verschwinden konnte, schnappte er sich ihre Hand und zog sie um die Ecke des Hauses. „Pssht, it‘s me.“ Die Wut glättete sich wie die Wellen nach einem verflogenen Sturm über dem Meer, als er unverhohlen zu ihr runter grinste. Die dunklen Haare zerzaust, die Lippe geschwollen, der Kragen seines Shirts leicht eingerissen und ein Loch auf Kniehöhe seiner Jeans. „Let‘s skip the drawing and head to the sea.“ Zum Meer. Immer zum Meer.
Gut, Clover mochte nicht für den Rest des Tages suspendiert worden sein, aber… egal? Und, nur um das mal festzuhalten: „The other one looks way worse! And he was bigger than me!“ Mit einer Hand ein Stück über seinem Kopf andeutend. Gleichaltrige waren keine Herausforderung. Er war der Größte in der Klasse. Und somit zumindest auch definitiv größer als die Mädchen. Was bei einigen Jungs in dem Alter noch so gar nicht klappen wollte.

“I'm so excited about what we're doing today!“ Das blonde Mädchen an ihrer Seite zwitscherte fröhlich und hörbar aufgeregt vor sich hin. Sie bekam nicht einmal mit das ihre Schulfreundin gar nicht richtig bei ihr war. Clover ließ nämlich erneut den Blick suchend über den Schulhof schweifen. Irgendwas war passiert, das hatte sie mitbekommen. Es war eigentlich auch unmöglich es nicht mitzubekommen. Aber bevor sich der Lockenkopf hatte absetzen können um auf Spurensuche zu gehen, war die Lehrkraft zuvorgekommen und hatte die restlichen Kids eingefangen. “Mhhm“ brummte Clover abwesend. Ihre Mitschülerin nahm das zum Anlass all ihre Wünsche zu äußern was sie heute gerne machen wollte. Spannend, wirklich.

Den Fuß schon beinahe über die Türschwelle gesetzt, spürte Clover einen Widerstand. Augenblicklich schlossen sich ihre Finger um die vermeidlich fremde Hand und sie stolperte blindlings dem Ruck folgend zurück, gleich hinter die Hausecke. Levi musste nicht betonen, dass er es war. Das wusste Clover auch so.
Das zunächst erleichterte Grinsen -weil er nun hier war- verlor sich schnell, als sie sein Erscheinungsbild so richtig realisierte. Augenblicklich schoben sich die dunklen Augenbrauen zusammen, was dazu führte, dass sich auch das Augenpaar verengte. On top presste Clover sichtlich missbilligend die Lippen aufeinander.

“And that's supposed to reassure me? You look like… shit.“ murmelte sie ihm zu, weil sie befürchtete, dass man ihre Abwesenheit jeden Augenblick bemerken würde und ihre Stimme sie am Ende verriet.
Zum Meer also. Ein Ort, der nach wie vor gemischte Gefühle in ihr hervorrief. Es war von Anbeginn ihr Ort. Mit niemand anders wurde er geteilt. Gleichzeitig aber… konnte sie nicht ganz über dieses mulmig-ungute Gefühl hinwegsehen, das sie beim Anblick des Meeres verspürte. Obwohl es schon nicht mehr ganz so übermächtig war, seitdem Nessies Begeisterung sie umgab.

Clover warf einen schnellen Blick über die Schulter. Für sie war die Antwort glasklar – natürlich würde sie sich ihm anschließen. Das war wie ein ungeschriebenes Gesetz. “Let’s go!“ oder besser gesagt – let’s run. Denn einmal in Bewegung gesetzt, trugen ihre Füße sie immer schneller quer über den Schulhof. Die Hand von Levi hielt sie dabei noch immer fest entschlossen. Obwohl es längst nicht mehr das erste Mal war, dass sie sich vom Schulgelände schlichen, polterte ihr Herz.
Wenn jemand nach ihnen rief, dann verlor sich die Stimme im Wind.

Ihre Finger zogen sich aus seiner Hand, als sie das Tempo drosselten. Sie brauchte beide Hände um Wirrwarr auf ihrem Kopf ein bisschen zu sortieren. “What did he do?“ Der andere Junge.

Hey, wo war ihr Grinsen hin? Stattdessen wurde es von zusammengepressten Lippen abgelöst. Und dieser kleinen Falte zwischen ihren Augenbrauen, die sich immer auftat, wenn sie… „Yeah?“, hielt er schlicht dagegen. Ehe er sich selbst ein kleines Schnauben verkneifen musste. Er sah scheiße aus? „The salt water will do it‘s magic.“ Er redete sich ein – glaubte? -, dass er tatsächlich schneller wieder fit wurde als die meisten. Gerade im Meer.

Nichts anderes war – mal wieder – sein Ziel. Und Clover dann doch auch direkt Feuer und Flamme. Ihre Hand lag immer noch in seiner. Levi nahm den missbilligenden Gesichtsausdruck wie immer als das auf, was es war. Ein bisschen Sorge. Vielleicht sah er es deshalb ganz gerne. Weil es ein selten erlebtes Gefühl war.
Sie rannten grinsend über den Schulhof. Bis sie weit genug gekommen waren, dass sie niemand mehr trennen könnte. Ihn vor der Pforte, sie zurück im Unterricht…
Der Junge schmunzelte, als sie versuchte ihre Locken zu bändigen. „Why do you even try?“ Spätestens wenn sie die Meeresbrise erreicht hatten, wäre es sowieso ein hoffnungsloses Unterfangen. Wobei nasse Haare schwerer fielen. Vielleicht ließ sie sich das als Argument andrehen, um mit ihm ins Wasser zu springen?

Levi zuckte leicht mit den Schultern. „He made Lils stumble.“ Ehe das Grinsen noch ein bisschen diebischer wurde. „And he just really has one of those faces that wanna be punched.“ Auch wenn viele das nicht unbedingt als legitimen Grund ansahen. Aber so wie der Junge zurück geboxt hatte, hatte er Lily definitiv nicht aus Versehen angerempelt, sondern an irgendwem seinen Frust auslassen wollen. Wieso nahmen sich solche Leute dann immer gerne welche vor, die schwächer waren als sie? Levi suchte immer nach dem genauen Gegenteil. Er kickte einen Stein über den Weg. „You’d agree if you saw him!“ Dagegen konnte sie jetzt nicht argumentieren, weil sie zu weit von der Schule weg waren. Hah!

Dafür kam der Strand in Sichtweite. Augenblicklich trat ein vorfreudig türkiser Glanz in seine Iriden. „You catched your breath again?“ Was so viel hieß wie… war sie bereit für den Endspurt?
Der Sand unter ihren Füßen erschwerte das Rennen. Die Zielgerade, ihr Fels im Wasser. Wie immer. Levi versuchte schon im Lauf irgendwie die Schuhe loszuwerden. Was ihr einen Vorsprung verschaffte. Den er natürlich irgendwie wieder aufholen musste! Dabei wieder nach ihrer Hand grapschend. Dieses Mal um sie zurück zu halten. Durch den Ruck durch seinen Arm ließ er sich schlicht in den Sand fallen. Clover neben sich. „I declare it … a draw“, grinste er großzügig, sich schnell auf alle Viere aufrappelnd, dann zwei weitere Schritte gen ihr place laufend, wenn auch rückwärts. So ganz traute er ihr nämlich nicht, ob sie sonst nicht gleich dieselbe Taktik fuhr wie er und ihn, dieses Mal ins seichte Wasser, schubste, um doch noch als Erste auf den Stein zu klettern.

Clover wusste wann der Punkt gekommen war, an dem sie besser die Klappe hielt. Diskutieren mit Levi war stets von Erfolglosigkeit gekrönt. Entweder, weil er sie schlicht auf seine Seite zog oder – weil sie sich geschlagen gab. War das quasi das gleiche? Mh.

Doppel-mh. Die heilende Wirkung des Wassers zweifelte Clover nicht direkt an, aber ihr kam definitiv sofort eine gute Alternative, die jedoch nicht zur Sprache kam, weil. In den vergangenen Wochen hatte sie häufiger Anlauf genommen und gen Magie gesteuert; jedes Mal hatte sie aber auch wieder einen Rückzieher gemacht. Seit ihre älteren Geschwister langsam Herr über ihre Fähigkeiten wurden, kribbelte es auch Clover vermehrt in den Fingern.
Schnauben pustete sie sich noch eine Strähne aus der Stirn. Oder versuchte es. “Because I hate them and it annoys me.“ Das war Grund genug.

Abwägend neigte das dunkelhaarige Mädchen den Kopf von links nach rechts. Sie wägte die Worte von Levi sichtlich nachdenklich ab. Punkt eins war klar – “She is lucky to have you as a big brother.“ Man konnte es durchaus als seinen Job bezeichnen ein Auge auf seine Schwester zu haben. Wer, wenn nicht er? Aber ob Clover wirklich Gewalt als Mittel der Wahl genommen hätte, nun, das ließe sich diskutieren. Also vielleicht gar nicht verkehrt, dass er entschied es sei an der Zeit ein zweites echtes Wettrennen zu starten.

“You don't stand a chance!“ Es gab keinen echten Startschuss, beide rannten einfach los. Als Levi zurückfiel, wähnte sich Clover direkt im Siegermodus. Dem verlieh sich mit einem kleinen Jubelschrei Ausdruck. Im nächsten Moment waren da schon wieder Finger; nur, dass sie diese jetzt nicht willkommen heißen wollte! “NOOO!“ Keine Chance, ehe sich Clover versah, saß sie mit dem Hintern im Sand. Und während sie diese Erkenntnis noch verarbeitete, kam Levi schon wieder auf die Füße. “That's not fair!“ Hatte nur noch nie eine Rolle gespielt. Hörbar grummelnd schwang sich auch Clover wieder auf die Füße und setzte zur Verfolgung an.

Nessie war auf der Hut; zurecht! Eventuell erwartete er es auch. Clover war jedenfalls mehr als gewillt ihn die Rache spüren zu lassen. Je schneller sie die Füße voreinander setzte, desto näher kam sie dem Jungen, aber eben auch dem Wasser. Das Bedürfnis eine Vollbremsung zu ziehen schob das Mädchen in die hinterste Ecke ihres Bewusstseins; stattdessen warf sie sich förmlich auf das kleine Ungeheuer. Ein triumphierendes “GOTCHA!“ posaunend. Während Levi rücklings in die überschaubare Flut fiel, gelang es Clover immerhin ihren eigenen Sturz soweit abzufedern, dass sie von der nächsten heranrollenden Welle nicht ebenfalls verschluckt wurde.

Ihr Gesicht war nicht unweit von seinem entfernt, die Hände auf seinen Oberkörper gestützt, hockte sie nicht wirklich, aber stehen tat sie auch nicht. “See ya!“ Clover stemmte sich hoch und drückte Levi damit nur noch weiter ins Wasser. Ganze zwei, drei Schritte trennten sie noch von ihrem Felsen. Dort angekommen, schüttelte sich Clover. In ihren Schuhen schwappte das Wasser -ekelhaft!- und die Ärmel ihres Pullovers hatten sich ebenfalls vollgesaugt. Unweigerlich zog der Lockenkopf einen Flunsch.

Wie konnte man Haare hassen? Levi waren seine egal. Zumindest so lange, bis sie ihm ständig in die Augen fielen. Dann kamen sie wieder ab. Aber Clover mit Kurzhaarputz wäre auch irgendwie seltsam? Ungewohnt, definitiv. „Some things can’t be controlled“, grinste er also stattdessen nur. Ihre Haare. Sein Temperament. Levi sah das Problem nicht. Andere dafür umso mehr. „Tell that to her father“, verdrehte er die Augen. Her father, nicht sein (Stief)vater. Aber dem nach war er eher eine Gefahr für Lily. Und seine Mom sprang zunehmend mit auf den Zug auf. Schlechter Einfluss und so.

War er nicht eigentlich zum Meer aufgebrochen, um nicht an Zuhause zu denken? Das Wettrennen kam da wie gelegen. Ihr Ehrgeiz in allen Ehren, aber…
Levi kam aus dem amüsierten Prusten kaum mehr raus, als sie wie ein bedröppeltes Entlein im Sand landete. „Fair doesn’t win!“, jauchzte er, schon längst wieder unterwegs. In körperlicher Reaktionsschnelle konnte es auch schlicht keins der anderen Kids mit ihm aufnehmen. Führte aber nicht dazu, dass Clover, im Gegensatz zu den meisten, aufgeben würde. Was ihr definitiv alle Punkte einbrachte. Selbst wenn er sie nicht gewinnen ließ.

Und da warf sie sich auch schon schlicht gegen ihn. Für eine Millisekunde war da noch die Überlegung gewesen auszuweichen oder schlicht dagegen zu halten, aber… da umspülte das Meer bereits seine Füße und wie könnte er da anders als sich fallen zu lassen?
Levi grinste ungeniert zu ihr hoch. „Did you already eat all your lunch?“, zog er sie auf. Dabei fühlte sie sich keinesfalls wirklich schwer an. Er müsste nur eine Hand ausstrecken, ziehen und sie würde einen Purzelbaum über seinen Kopf in die Fluten machen.
Den Schalk in seinem Blick musste sie jedoch gelesen haben. Zack war sie weg. Und eine Welle flutete komplett über den Jungen.
Seine aufgeplatzte Lippe und das Knie brannten. Aber es war ein angenehmes Brennen. Belebend. Energetisch. Anstatt sich wieder nach oben zu arbeiten, drehte Levi sich schlicht um und robbte weiter ins Meer. Bis er sich, auf allen Vieren, noch immer unter Wasser befand. Und von da an konnte er tauchen.
Levi durchbrach an der weiter im Meer liegenden Seite ihres Felsens wieder die Oberfläche. Er legte die Hände auf den Stein, sich leicht dort abstützend. Hatte er jetzt nicht gewissermaßen gewonnen, weil er die Spitze als Erster erreicht hatte?

Sein Blick suchte Clovers. „Why that face?“ Er ahnte es. Nein, wusste es eigentlich. Und gerade deshalb platschte er nochmal mit den Händen auf die Wasseroberfläche, sodass sie eine gute Ladung erwischte. Ehe er sich behände auf den Felsen zog. „You know what helps against feeling half-dry-half-wet?“ Er schüttelte sich kurz wie ein Hund. Wobei das nicht das war, was er gemeint hatte. Sondern… „Jumping in completely!“ Levi hüpfte auf sie zu. „Come on, come on, come on, come oooon, pleaaaaase, I’m gonna stay at your side, promise!“ Da, wo es so tief wurde, dass sie nicht mehr stehen könnte, erst recht. Er war nicht gut mit bettelnde Hundeblicken, aber er gab sein freches Bestes. Und hey, immerhin hatte er sie nicht einfach direkt reingeworfen. Was natürlich noch kommen könnte…
Die Wellen riefen bereits jetzt wieder nach ihm. Wie konnte sie das nicht auch hören?!

Der Stoff gab unter dem Druck ihrer Finger nach und ein paar Tropfen fielen auf den ohnehin feuchten Stein unter ihren Füßen. Das führte aber nicht wirklich zu einer Besserung der Situation. Alles war feucht und klamm und führte nur dazu, dass sich Clover am liebsten aus den Klamotten schälen würde. Tat sie aber natürlich nicht. Stattdessen jauchzte sie auf, als Levi die Hände über die Wasseroberfläche jagte und ein ordentlicher Schwung Wasser auf sie niederprasselte. "Leeeeeeee-" quietschte es. Prompte schüttelte sich das Mädchen, aber es war zu spät. Die zusätzliche Feuchtigkeit durchdrang bereits die Stoffe und umhüllte sie. "I hate you!" Tat sie natürlich nicht. Naja, vielleicht ein ganz kleines bisschen. Das dunkle Augenpaar funkelte sichtbar böse in seine Richtung. Er wusste wie es um ihre Beziehung zu dem Nass stand; und trotzdem foppte er sie.

Nein, nicht nur das. Natürlich musste er es gleich noch weiter auf die Spitze treiben. Levi kletterte aus dem Wasser und trieb Clover dazu einen Schritt zurückzumachen. Als er sich wie ein nasser Hund schüttelte, wandte sie sich halb ab, die Augen zugekniffen, weil die Tropfen flogen und auch vor ihr keinen Halt machten. Er brauchte den Satz nicht einmal zu Ende bringen, da wusste Clover bereits welch grandiose Idee sich in seinem Kopf manifestiert hatte. So viel Zeit wie er im Wasser verbrachte, war es verwunderlich, dass sich noch keine Schwimmhäute zwischen seinen Fingern und Zehen gebildet hatten.

"NO!" sofort schüttelte Clover den Kopf. Sie würde ganz sicher nicht! ins Wasser springen. Auf gar keinen Fall! "No. Noooo. Nono!" Erneutes Kopfschütteln und das so heftig, das die feuchten Locken durch die Luft wirbelten. Es war wie immer ein Fehler in die Richtung von Levi zu schauen. Was musste sie seinem Blick auch so schonungslos ausgliefert sein! Clover konnte spüren wie der Widerstand schwand. Das dunkelhaarige Mädchen begann sich nicht nur gedanklich zu winden. "Stop doing that!" Der Augenaufschlag, das kleine Grinsen. Einfach alles daran gehörte verboten. Das aufsteigende Grummeln schluckte Clover. Stattdessen blitzte es sichtlich in den dunklen Augen auf. "Okay. Fine. But only-" Sie knickte ein, wie jedes Mal, wenn sie hier waren. Und ihr geplanter Rachefeldzug wäre nur dann einer, wenn es für Levi einer Bestrafung gleich käme.

Clover machte einen Satz nach vorne, Levi entgegen. "if you go first!" Sie investierte nicht sonderlich viel Kraft in den Schubs, den sie ihm verpasste. Er würde sich ohnehin bereitwillig fallen lassen. Und sie selbst - dachte gar nicht daran seinen Wunsch zu erfüllen.

„I know.“ Verschmitzt-zufrieden. Das Gegenteil meinend, wissend. Clover hasste ihn nicht. So viele waren so schnell über sein Verhalten erzürnt. Andere Kids. Lehrer. Sein Stiefvater. Seine Mom. Auch wenn es immer mehr in abweisende Resignation überging. Aber wenn Clover I hate you sagte, meinte sie das nicht so. Nie dauerhaft. Da konnte sie ihn noch so böse anfunkeln. Es war wie mit Nessie, den Spitznamen, über den er gerne grollte und der, wenn er über ihre Lippen kam, doch eine ganz andere Bedeutung hatte als das Seamonster, als das seine Mutter seinen Vater – und damit auch ihn – bezeichnete.

Es war nicht so, dass er das Mädchen (deshalb) weniger aufziehen oder nicht auch mal an die Grenzen ihrer Komfortzone pushen würde. Nur die Intention war eine andere. Am Ende wollte er nie, dass sie tatsächlich wütend auf ihn war – sondern sie zusammen Spaß haben.
Es war fast schon ein alltägliches Spiel. Los, los, los, nein, nein, nein. „Yes, yes, yes.“ Das wissende Grinsen wurde noch einen Hauch breiter. „Stop doing what?“ Keinesfalls unschuldig genug ausgesprochen. Eine sowieso eher rhetorische Frage. If it works…!
Das nun in ihren Augen vielsagend kecke Funkeln deutete an, dass sie zwar einknicken würde – wie jedes Mal -, aber…

Dem Jungen entfuhr ein euphorisches Auflachen, als er sich fallen ließ. Aber wenn sie glaubte, dass er alleine versinken würde, hatte sie die Rechnung ohne ihn gemacht.
Seine Finger schnellten nach vorn, fanden ihren Pulli und rissen sie mit sich. Das kühle Nass brach über ihnen zusammen. Es war nicht einfach nur sein Element. Es gab ihm all das, an das er sonst so schwer kam. Eine vorbehaltlose Umarmung. Eine bereitwillige Herausforderung. Home.
Levi ließ sich bis auf den Grund sinken. Was nicht sonderlich tief war. Aber das vergleichsweise flache Ufergewässer, ihr Felsen, war ein Kompromiss. Eine Schnittstelle, bei der sie zueinander finden konnten. Die tiefen Riffe weiter draußen würde er wohl immer alleine erkundigen müssen.
Der Junge hatte Clover mit nach unten gezogen. Stieß sich am Grund nun mit den Füßen ab, um wieder nach oben zu gelangen. Wenn er sich auf die Zehenspitzen stellte, konnte er noch stehen. Sie nicht. Und vielleicht genoss er es auch ein bisschen, wenn sie sich an ihn krallen musste.

Levi giggelte leise, als er an der Oberfläche wieder ihren Blick suchte. „Look, the sea likes you!“ Dabei deutete er auf etwas Seetang, das sich in ihren jetzt eher schwer anliegenden Locken verfangen hatte.
Er schob sich, und damit auch sie, wieder zurück gen Felsen. Ihr die Sicherheit von festem Grund hinter sich zurück gebend. Kaum saß sie am Rand, zog er sich ebenfalls wieder hoch, plumpste neben sie.
Beiläufig puhlte er eine leere, noch am Stein klebende, flache Muschel ab, um sie dann mit einer schlenkernden Bewegung aus dem Handgelenk über die Wellen tanzen zu lassen. Eigentlich brauchte man dafür eine glatte Wasseroberfläche. Aber – eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben. Ehe die Muschel versank.

Und zack war Levi auch schon hinterher, fand sie tauchenderweise wieder, noch bevor sie im Sand verschwinden oder von der Strömung weggetragen werden konnte. Zielsicher, wie ein Bluthund ein angeschossenes Reh.
Wieder zurück bei Clover, drückte er sie ihr in die Hand. „Your try, Lucky Charms.“ Wie dieses viel zu süße Zeug. Aber vielleicht war sie auch ein kleines bisschen sein Glücksbringer, wenn der Sturm um ihn rum mal wieder zu drückend wurde.

Sie hätte es kommen sehen müssen! Ruckzuck verlor auch Clover den sicheren Halt unter den Füßen. Das Quietschen ging in den Wellen, die über ihren Körpern zusammenschlugen, verloren. Sie konnte spüren wie sich das Wasser durch den Stoff zwängte, wie es ihre Haut streichelte, was bei ihr nur ein Schaudern auslöste. Sie HASSTE es! Doch was früher zu einer kleinen Panikattacke geführt hatte, war heute irgendwie auszuhalten. Warum? Ihre Finger hatten festen Halt. Sie war nicht alleine. Das Salz brannte in ihren Augen. Sie konnte die Umrisse ihres Freundes schemenhaft ausmachen. Und das reichte um das erdrückende Gefühl auf ihrer Brust zurückzudrängen. Er war hier, mit ihr. Er würde sie nicht allein lassen, niemals. Der Druck ihrer Finger ließ ein kleines bisschen nach. Es würde nie reichen um bei ihr vollends Entspannung auszulösen.

Clover schnappte nach Luft kaum durchbrachen sie die Wasseroberfläche. Fahrig wischte sie sich über das Gesicht und ein paar der dunklen Strähnen aus dem Gesicht. Kaum hatte Nessie ausgesprochen, spürte sie es. “Irghs!“ brachte sie hervor und versuchte mit langen Fingern das Seetang aus ihrem Haar zu ziehen. Ein schwieriges Unterfangen.
Sie war erleichtert und froh, dass sie wieder sicheren Grund unter sich hatte. Obwohl sie bis auf die Knochen nass war, zog sie ihre Füße weit genug auf den Felsen um sicherzustellen, dass sie nicht mit dem Wasser in Berührung kamen. Levi hingegen – sprang gleich wieder in die Fluten.
Kopfschüttelnd, aber irgendwie beseelt lächelnd, sah sie ihrem Freund nach. Er war dafür gemacht. Das war seins. Und solange sie hier sitzen durfte, wurde sie nicht müde ihm dabei zuzusehen.

Levi tauchte wieder vor ihrer Nase auf. Clover hatte inzwischen die Arme um die Beine geschlungen und ihren Kopf on top gebettet. Nicht, weil ihr kalt war. Es war einfach bequem.

Das Lucky Charms zauberte instant ein Schmunzeln auf ihre Lippen. “You know I'm not good at it“ wiegelte Clover zunächst zwar ab, ihre Finger nahmen ihm aber trotzdem die kleine Muschel aus der Hand. Die sie dann zwischen Daumen und Zeigefinger hielt um sie zu betrachten. Sie war schön. Passte gut in die Sammlung, die sie zuhause hatte. “I throw it, you get it back? I'd like to keep the shell.“ Win win Situation. Nicht, dass Levi einen Grund bräuchte um sich einmal mehr in die Fluten zu schmeißen, aber. “Ready?“ kaum ausgesprochen, versuchte Clover ihr Glück. Beim Versuch blieb es auch. Anders als bei Levi verschluckte der Ozean die Muschel gnadenlos beim ersten Kontakt.

Als wäre der Seetang etwas Ekelhaftes, wie eine Spinne im Haar. Für einen Moment sah Levi ihren Befreiungsversuchen amüsiert zu. Aber umso mehr sie zog, umso mehr der dichten, schweren Locken verhedderten sich. „Just hold still.“ Er pfriemelte sie mehr oder weniger sacht frei. Und brachte sie dann zurück zum Felsen. Wo sie sich wie eine nasse Katze aufführte, während er sich wie ein Seehund schnell wieder in die Fluten stürzte.

Wieder war da ein kurzes Zieren, ehe sie die Muschel entgegen nahm. „Deal!“ Auch wenn Levi der Meinung war, dass… „But that‘s just an ordinary shell. I can get you a way prettier one from the reef.“ Könnte ein bisschen dauern eine zu finden, die nicht mehr ‚lebte‘, aber der Junge setzte es sich trotzdem mal auf die to-do, wenn er das nächste Mal weiter raus schwamm. Vielleicht eine der gedrehtes Horse Conches oder Knobbed Whelk. Dann wiederum, diese hier... hatte auf ihrem Felsen gelebt!
Levi sprang wieder auf die Füße. Fehlte eigentlich nur, dass er ungeduldig auf und ab hüpfte. „Ready!“ Steady Go! Clover warf. Wenn man das denn Flitschen nennen konnte. „Wow.“ Das Fazit war ernüchternd ehrlich. „You’re just really, really bad at it.“ Nicht nur nicht gut.

Nichtsdestotrotz machte Levi einen Kopfsprung ins Wasser. Die Linie flach genug, um nicht mit dem Schädel unten aufzukommen. Die Muschel war schnell gefunden. Anstatt jedoch sofort wieder aufzutauchen, lockten seine Sinne ihn in eine andere Richtung. Ein gutes Stück weiter hinaus.
Was war das denn? Levi tauchte weiter ab. Etwas hatte sich in einem alten Fischernetz am Boden verfangen. Als er sich dem Tier näherte, zappelte es erschrocken, sich nur noch mehr verfangend. Verdammt. Deshalb schwamm er gerne mit Haien. Die hielten zwar auch einen gewissen Abstand ein, aber… das kleine Ding hier geriet geradezu in Panik. I just wanna help… Nicht, dass er es unter Wasser aussprechen könnte. Verstehen würde die Schildkröte ihn sowieso nicht.

Der Junge steckte die Muschel in seine Hosentasche. Das Netz ließ sich gar nicht so leicht vom Boden lösen. Es hatte sich da komplett verankert. Und als es dann einmal ab war, war die Baby Kemp’s Ridley Turtle immer noch darin gefangen. Aber langsam ging sogar Levi die Luft aus. Er schnappte sich schlicht das ganze Netz und arbeitete sich an die Oberfläche. Wo er gen Clover die Hand aus dem Wasser streckte. „Found someone!“ Er paddelte einhändig zurück zum Felsen. „Help me. Careful.“ Er schob das Netz an den Felsenrand, damit sie die Schildkröte aus dem Wasser ziehen konnte. Sie mussten die Kleine da unbedingt rausholen! Sein Blick hatte sich dabei wieder zu einem düsteren Graublau gewandelt. Es fühlte sich ein bisschen an, als hätte jemand seinen Müll in seinem Heim entsorgt und dabei jemanden verletzt. Und das machte ihn echt wütend.

Das Mädchen zuckte mit den Schultern. Es war ihr egal wie gewöhnlich diese Muschel auf den ersten Blick erschien; für Clover war sie es ganz gewiss nicht. Aber das zu erklären sparte sie sich, Levi würde eh nur mit den Augen rollen und sie verspotten. In etwa so, wie er es auch jetzt tat, als sie die Muschel warf und wie prophezeit nicht sonderlich weit kam. Clover schnitt eine Grimasse. "Told you!" und ergänzte, mit einem funkelnden Blick in seine Richtung "Be glad I don't have anything to throw at you." Weil sie ja so schrecklich gut im werfen war; nicht. Clover sah Levi nach. Ihr Blick haftete auch dann noch auf der Wasseroberfläche, als von ihm keine Spur mehr zu sehen war. Jeden Augenblick musste er wieder zu sehen sein... jetzt... gleich... noch wenige Augenblicke...

Aber Levi tauchte nicht auf. Clover spürte eine leichte Unruhe. Groß genug um sie auf die Beine zu zwingen. Nicht, dass sie von hier oben einen so viel besseren Blick auf die Wasseroberfläche hätte. Das dunkle Augenpaar schwenkte von links nach rechts und wieder zurück. Da! Erleichtert atmete Clover auf. Gleich darauf warf sie die Stirn in Falten.

Er hatte jemand gefunden? Als er näher kam und Clover das Fischernetz erkannte, trat sie an die Kante des Felsen. Sie hockte sich hin um die kleine Kreatur entgegen zu nehmen. "Got her" mit Vorsicht hob das Mädchen das Knäuel und die darin verhedderte Schildkröte zu sich auf den Felsen. Augenblicklich wurde ihr Herz schwer. "She's so tiny..." Umso vorsichtiger waren ihre Fingerbewegungen. Clover gab sich große Mühe die ersten Wirrungen in dem Fischernetz zu lösen um besser an das gepanzerte Tier zu kommen.
"I need your help, Nessie. Grab right here. And I-" es war eine tierische Fummelei. Vor allem wollte sie dem kleinen Wesen keinen (weiteren) Schaden zufügen. Zogen sie am falschen Ende, würde sich im schlimmsten Fall eine Schlaufe enger ziehen.

"Shhh. Hold still. We want to help you!" leise redete Clover auf die Schildkröte ein. Es musste angsteinflößend wirken; zwei Riesen, die etwas taten, was das Tier nicht verstand. Oder doch? Eventuell war es auch eher ein Schreckstarre, in die die Schildkröte verfiel und weniger das Verständnis für ihr tun. "Good that you found her" Clover sah zu ihrem Freund. Sie konnte den tobenden Sturm in seinen Augen sehen. "Grab her!" Ein leichtes Nicken in Richtung der Schildkröte. Sie zog zwei Stränge des Netzes auseinander, so dass er sie eigentlich herausziehen konnte.